
Schon im Laufe der Schwangerschaft, primär dann im letzen Trimester hatte ich nur einen Wunsch: mich zurückzuziehen.
Nicht nur, aber vor allem die Kontakte „im echten Leben“ waren für mich nur noch anstrengend. Damit will ich nicht sagen, dass ich die Menschen weniger oder gar nicht mehr gern gehabt hätte. Ganz im Gegenteil.
Aber ich brauchte viel Zeit für mich, für dieses ungeborene Leben in mir drin. Für die Verarbeitung der Tatsache, dass, obwohl das Kind in meinem Bauch momentan nur die Idee, das Versprechen eines neuen Lebensabschnitts war, das sehr bald real würde.
Realer als alles bisher. Keine Kündigung, kein Schritt, keine Maßnahme, die Du ergreifen kannst, nimmt Dir als Frau den Titel Mama wieder weg. Mama bist Du für immer.
Ich war eine miese Freundin, im letzten Trimester und in der ganzen Zeit seither.
Die ersten Wochen und Monate mit Kind übertrafen alle meine Erwartungen – ich würde lügen, wenn ich sagte zum positiven. Mein Baby war zauberhaft, das ist er immer noch.
Dieser kleine Frosch, ich liebte ihn seit ich ihn das erste Mal auf dem Ultraschall gesehen hatte, ein Mohnkorn mit einem Herzen, das meines im Sturm erobert hat.
Und doch war das Wochenbett keine schöne Zeit. Er weinte und schrie viel, er schlief nur an der Brust oder auf mir ein, er war wach, sobald ich mich einen Zentimeter bewegte. Er schlief auch sonst kaum. Er akzeptierte keinen Kinderwagen, Trage und Tragetuch mit viel Glück für kurze Strecken. Dazu die Stillprobleme, Milchstaus, verformte Brustwarzen.
Ich war leer, ausgelaugt. Ich weinte viel, vor allem nachts. Die schlimmsten Momente waren die, in denen ich nachts auf die Uhr sah. 22:53, 01:25, 03:02… die Nächte kamen mir endlos vor.
Endlos und einsam, wie ich da saß in meinem Sessel, mit dem winzigen Kind auf dem Kissen. So unendlich müde, so leer, mit schmerzendem Körper, irgendwie funktionierend.
Das letzte, was ich wollte, war, darüber zu reden. Nicht, weil ich es verschweigen wollte, mich schämte, mich unzulänglich fühlte, nein.
Sondern weil ich meine gesamte Kraft für den Alltag mit Kind brauchte, weil es einfacher war, es nicht zu zerreden und es stattdessen zu stemmen, immer von einem Stillintervall zum nächsten. In der Hoffnung, dass jedes Stillen mich einen Schritt „da raus“ bringen würde.
Denn so wie es war, so konnte es nicht für immer bleiben.
Genauso wenig wollte ich nach draußen. Ich musste, mindestens einmal mit dem Hund, als mein Mann wieder arbeiten ging.
Eventuell schaffte ich es mal zum Supermarkt oder zum Kinderarzt. Aber ich war schweißgebadet, bis ich Kind, Hund, mich zum Rausgehen fertig hatte.
Hier eine Mütze, da noch rasch die Vorlage wechseln, Halsband an den Hund ranbasteln, Kind so schnell wie möglich ins Tuch, damit er nur ja nicht weint (bitte nicht schon wieder).
Vielleicht doch nochmal stillen, dann hält er die 20 Minuten aus, schläft vielleicht sogar ein. Das bedeutete dann oft die Möglichkeit eines raschen Mittagessens im Stehen.
Wie ich das kinderlosen Freundinnen erklären sollte, weiß ich bis heute nicht. Und was habe ich das vorher belächelt, wenn eine Mutter halb verzweifelt, halb verstimmt zu mir sagte, ich könne das nicht verstehen, weil ich noch kein Kind hatte.
Aber es ist wahr. Eine Schwangerschaft kann man nur nachfühlen, wenn man sie selbst erlebt hat und genauso ist das mit dem Mamasein auch.
Wie erkläre ich, dass mein Baby ein ganz normales Kind ist, das aber nicht ständig schläft, wie die Musterbabies in der Werbung.
Das oft bitterlich weint, das nicht abgelegt werden will, dass größtenteils noch nichtmal seinen Papa akzeptiert und sich von ihm trösten lässt.
Das ich nicht abgeben will, das keine abgepumpte Milch bekommt sondern erstmal nur mich. Das war der springende Punkt. Ja, ich wollte Ansprache, nein, das bedeutet nicht, dass ich mein Kind abgeben möchte. Ich wollte doch nur ein Ohr, aber konnte das niemandem verständlich machen.
Also zog ich mich zurück in mein Schneckenhaus, zu meinem kleinen Schneckerich, dem Papa und dem Hund und merke jetzt, dass das genau die richtige Entscheidung war – für mich, für uns. Weil ich nicht mehr geben konnte als das
Gefreut habe ich mich manchmal über ein Rauskitzeln, auch wenn das manchmal zu anstrengend war. Schön wären Hilfsangebote gewesen, mal ne Wäsche reinwerfen, was kochen, ein erledigter Einkauf.
Schwer war Zugzwang, melde Dich halt, wenn Du was brauchst! Wir haben doch die Glückwunschkarte geschickt, jetzt bist Du an der Reihe. Frei nach dem Motto: Hier haste den Ball, wirf mal zurück! Denn das allerletzte, was man als Mama mit Frischling braucht, sind Schuldgefühle on top.
Die gibt‘s zur Geburt sowieso gratis dazu.

Foto: Kelly Sikkema auf Unsplash